Die Vollständigkeit von Beobachtungen ist eine der unabdingbaren (epistemo-)logischen Voraussetzungen für die Möglichkeit, einen positiv beweiskräftigen Induktionsschluß durchführen zu können. Und der Glaube, dass nur Induktionsschlüsse, ausgehend von richtigen und vollständigen Beobachtungen von archäologischen Funden (und Befunden), verlässliche, d.h. letztendlich ‘wahre’, Erkenntnisse über ur- und frühgeschichtliche Dinge (und Menschen) erzeugen können, ist in der deutschsprachigen Ur- und Frühgeschichte seit wenigstens ihrem Beginn als eigenständiges wissenschaftliches Fach programmatisch festgeschrieben.

Für Österreich schreibt zum Beispiel Moriz Hoernes an keinem geringeren Ort als der methodischen Einleitung zu seiner Habilitationsschrift, mit der er die “k.&k. (Wiener) Schule” der Ur- und Frühgeschichte begründete, dass der “…Anfang und Fortschritt…” in der Ur- und Frühgeschichte in “…der Beobachtung nackter Tatsachen, im Aneinanderreihen der einzelnen an sich geringfügigen Wahrnehmungen zu unerschütterlichen Erkenntnissen liegt…” (Hoernes 1892, 43). Dafür beruft er sich auf Rudolf Virchows Ansichten zur Bedeutung der “…Hilfsmittel der Beobachtung und des Experiments…” und Virchows Hoffnung, dass die anthropologischen Wissenschaften in Hinkunft “…auf rein induktivem Weg…” vorwärts schreiten würden (Hoernes 1892, 70). Dieses neopositivistische Wissenschaftsbild wird seitdem in der deutschsprachigen Ur- und Frühgeschichte völlig unreflektiert als “einzig wahre” Art der Erzeugung archäologischen Wissens von Generation zu Generation weitergegeben; es ist zum fachlichen Dogma geworden.

Aus diesen Voraussetzungen ergibt sich jedoch logisch zwingend ein ganz bestimmtes Verhältnis des Faches zu den (archäologischen) Dingen: das (archäologische) Ding ist Objekt unserer (hoffentlich) “richtigen” Beobachtungen. Aus diesen Beobachtungen wollen wir induktiv die Wahrheit erschließen. Dazu ist die Vollständigkeit der Beobachtungen erforderlich. Es folgt zwingend: jedes archäologische Ding ist ein unendlich wertvoller Schatz, ist heilig, muss für immer aufgehoben und in nur Eingeweihten zugänglichen Repositorien aufbewahrt werden, weil jeder andere sie absichtlich oder unabsichtlich zerstören könnte. Nur so lässt sich sicherstellen, dass unsere Beobachtungen beliebig (experimentell) wiederholbar bleiben und unsere Wissenschaft nicht auf anderem als rein induktivem Weg vorwärts schreiten muss.

Massendinghaltung ist also eine notwendige Folge unseres epistemologischen Ansatzes.

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Hoernes, M., Die Urgeschichte des Menschen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft (Wien, Pest & Leipzig 1892).