Ziel meines Vortrags ist es, auf Grundlage wissenschaftssoziologischer und -theoretischer Studien zu den Wirkungen von Technologie und Software auf die Forschenden und die Forschungen, den Umgang der prähistorischen Archäologie mit einer großen Datenmasse zu beschreiben. Als Beispiel dienen mir die wissenschaftlichen Tätigkeiten Jens Lünings und seiner Schüler_innen. Lünings akademische Schule zeichnet sich durch die “Verarbeitung” großer Datenmengen aus, denn ihr vorderstes Ziel ist es, chronologische Abfolgen und räumliche Ausbreitungen von neolithischen “Keramikkulturen” (Lüning 1972) zu erkennen. Ihr Axiom ist folglich die je vollständige Repräsentation aller bis dato bekannten archäologischen Funde der gewählten zeit-räumlichen Einheit. Zur Bewältigung dieser Masse von Dingen ziehen Lünings Schüler_innen Computertechnologien heran. Diese wirken auf das wissenschaftliche Handeln, die wissenschaftliche Gemeinschaft und letztlich auf das Wissen selbst, denn sie “weben mit am Stoff, aus dem die Gesellschaft ist” (Latour 1998, 65).

In meinem Vortrag wird deutlich werden, dass das eigentliche Artefakt lediglich eine verhältnismäßig kurze Zeit tatsächlich zugegen ist. Seine “Bearbeitung” kommt dem Scannen gleich, es wird verrechnet und ein Wissen über es entsteht durch die Geste des Klickens auf die Buttons der Software. Dadurch muss sich die/der Forschende von einer/m Keramik-Expertin/en zu einer/m Software-Expertin/en entwickeln. Gelingt ihr/ihm das nicht, so liegt der Schluss nahe, dass die Wissensproduktion allein von der Software geleistet wird, und also das Wissen, das mit hunderten oder tausenden Artefakten belegt wird, zum Beispiel den Algorithmen von Nie, Bent & Hull (1970) zu verdanken ist. Dieser Befund muss Archäologen_innen Sorge bereiten, sind doch die Prämissen einer Software für demoskopische Forschungen womöglich nicht auf archäologische Artefakte übertragbar. Ich meine jedoch, dass die Vernetzungen von Technologien, Menschen und Artefakten, von “Gesten und Know-how” (Latour 1998, 51), eine andere Form von Wissensproduktion befeuern, die nicht nur mehr archäologische Artefakte sondern auch mehr menschliche und nichtmenschliche Agenten miteinander verbindet und folglich fehlendes Know-how ausgeglichen werden kann. Es bleibt allerdings die Frage, wie eine solche Gemeinschaft aussehen muss und wie die Wissensprodukte aus einem “Hexenkessel mit Computerchips, Organisationen, Subjektivitäten, Software, gesetzlichen Vorschriften, Routinen (…)” (Latour 1996, 307) letztendlich zu bewerten sind.

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Latour, B., Social theory and the study of computerized work sites. In: Wanda J. Orlinokowski/Geoff Walsham (Hrsg.) Information Technology and Changes in Organizational Work (London 1996), 295-307.

Latour, B. Über technische Vermittlung. Philosophie, Soziologie, Genealogie, In: Werner Rammert, Technik und Sozialtheorie (Frankfurt am Main/New York 1998) 29-81.

Latour, B. Zirkulierende Referenz. In: Bruno Latour, Die Hoffnung der Pandora. (Frankfurt am Main 2000) 36-95.

Lüning J., Zum Kulturbegriff im Neolithikum, Prähist. Zeitschr. 47, 1972, 145–173.

Nie, N. – Bent, D. – Hull, C. H. SPSS: Statistical Package for the Social Sciences (New York 1970).